Dienstag, 18. März 2008

Urgent in Rethem (Aller) - oder, wie man ein Zelt leer spielt?

Einer der legendärsten Auftritte war Rethem. Deshalb auch hier der erste als Bericht in diesem Blog. Das war im September 2003. Der Bürgermeister von Rethem kannte mich und buchte die Band für ein "Dankeschön-Zeltfest" mit Freibier und Freiwurst für alle BürgerInnen von Rethem, die bei der Organisation des Stadtfestes mitgeholfen haben. Eintritt frei!
Prima! smiley Das werden 'ne Menge Leute und 'ne Menge Spaß!
Wir fuhren also an einem Samstagnachmittag nach Rethem. Durch meine Arbeit kannte ich Rethem. Klein, beschaulich. Direkt an der Aller. Bei Hochwasser komplett abgesoffen. Die anderen der Band kannten Rethem nicht! Es ist aber jedesmal spannend, wenn man als Band das erste Mal irgendwo ankommt. Ich erinnere mich noch daran, dass es für September ziemlich kalt war. Der Sommer war vorbei! Unwideruflich! Das lag auch am kräftigen bis starken Wind. Wir trafen uns am Ortseingang Rethem. Damals gab es ja auch noch nicht diese langen Öffnungszeiten der Geschäfte, so daß es in Rethem schon am frühen Nachmittag menschenleer war. Fast eine Geisterstadt. Der einzige Ort, wo es für Frank und mich Zigaretten gab, war die Tankstelle. Wir wußten nur:
"Wiese beim Sportplatz!"
Also suchten wir logischerweise den Sportplatz. Gottseidank war "Sportzentrum" ausgeschildert. Im Schritttempo näherten wir uns dem Ort des abendlichen Geschehens. Wir trauten unseren Augen kaum. Wir waren ja eingestellt auf ein Zelt, ein Festzelt! Wir fuhren auf ein "Ding" zu, das vielleicht mal ein Festzelt gewesen war, vor langer langer Zeit. Komplett aus Holz zusammengezimmert erinnerte es eher an eine Übergangshalle für Flüchtlinge. Die Seitenwände waren wahrscheinlich Abdeckplanen vom hiesigen Malermeister, notdurftig "angetackert". Der Wind tat sein Übriges. Das ganze Zelt flatterte im Wind, der Aufbau knarrte und kein Mensch zu sehen. Das ist das Ende, dachte ich. Trotzdem packten wir unsere Sachen aus (das Zelt war natürlich nicht abgeschlossen, wie auch!) und fingen an aufzubauen. Unsere Sängerin Heike, im kleinen Schwarzen, fror sich den Arsch ab und saß deshalb die meiste Zeit im Auto. Ab und zu fuhr sie zur besagten Tankstelle um uns Bier, Batterien und Schokolade zu besorgen. Langsam wurden wir fertig und es fehlte nun am Wichtigstem, Strom! Handys gab es ja schon und sogar Reiner, der Bürgermeister, hatte eins und endlich trudelten die übrigen Menschen ein. Der vom Bier -und Imbisswagen und Reiner, der Bürgermeister, himself. OK, wir waren früh dran. Also dehnten wir den Soundscheck zu einer kleinen Probe aus, es war eh keiner da, den wir hätten stören können. Leider gab es im Bierwagen kein Glühwein. Das Zelt war leer. Bier -und Imbisswagen waren natürlich Draußen. Es gab zwei oder drei Bistrotische und es hing eine Leinwand gegenüber der Bühne? Ansonsten war das Zelt, ja. eben leer! Gegen 18 Uhr kam Reiner, der Bürgermeister, ins Zelt zu uns. Unterm Arm hatte er einen Beamer und einen DVD-Player:
"Ihr spielt ein, zwei Lieder, zum warm werden (zwinker) und dann zeigen wir einen Film vom Stadtfest. Danach geht dann die Party los, ok?"
"Geht klar"!
Das kalte Bier machte langsam warm. Gut, dass ich nicht fahren mußte! Tatsächlich kamen die ersten gegen 19 Uhr. Es dämmerte. Komischerweise glichen die ersten Gäste eher einer Ausflugsgesellschaft des Altenheims um die Ecke. Naja, wir wissen ja, bei Frei Essen und Freibier sind unsere "Alten" immer die ersten.....! Gegen 19.30 bezweifelten wir das erste Mal, ob wir hier die richtigen sind! Wir sind doch 'ne Rockband?!?!?
"Gerd, kannst du das Kufsteinerlied?"
"Nee!"

"Scheiße!"
Viertelvoracht, wir legen los. Die etwa 150 Leute sind zusammen so eine Million Jahre alt. Vereinzelt kann man diese schwarzen Persianermäntel sehen. Oh Gott, das geht schief. Wir starten mit
Mustang Sally,
ziemlich gemäßigt für unsere damaligen Verhältnisse. Wir waren da noch mehr eine überzeugte Rockband! Alle gucken uns ungläubig an. Ich begrüße die Leute freundlich, kündige den Film an, der gegenüber gezeigt wird und Peter zählt das nächste Lied an,
Babe, when you're gone.
Ein Duett mit Heike. Unser damaliger Bringer! Alle drehen sich um, zur Leinwand. Einige halten sich die Ohren zu. Oh Mann, wenn das mal gut geht? Wo sind die Jungen, die Jüngeren, die, die Rockmusik mögen? Bryan Adams und Mel C haben ausgeträllert. Der Einzige, der applaudiert ist Reiner, der Bürgermeister!
"Wollt Ihr noch einen, bevor der Film losgeht?! Startbereit stehen wir da.
"Nein, nein, nee!!!!!! Wir wollen jetzt den Film sehen!", brüllen 150 alte Säcke und deren Säckinnen im Chor.

Das war hart! Ich sage den Film an. Wir haben Pause. Vielleicht kommen die Jungen später - uns würden ja ein paar knackige 50er reichen. Der Film ging los. Eineinhalb Stunden sah man Leute von links nach rechts vor der Kamera laufen. Manchmal hörte man, "hey da bist du ja" und "guck mal, der war auch da?" Die Hintergrundmusik war grauenvoll, wahrscheinlich aber genau richtig für die Anwesenden. Leider hatten wir die nicht im Programm. Dann waren wir wieder dran. Kernige Ansage: "Toller Film, schade das wir nicht beim Stadtfest dabei sein konnten, bevor wir hier einfrieren, schwingen wir jetzt das Tanzbein mit BAP,
Verdampt lang her! (...dass Ihr gelebt habt, dachte ich)"
und wir legten los. Man konnte es kaum glauben, nicht mal 10 Takte und das Zelt war leer! Echt leer! Naja, fast leer. Ein Mann, man könnte sagen ein Landstreicher, stand an einem Bistrotisch und hielt sich an seinem Bier fest. Wir standen auf der Bühne und schauten uns ungläubig an. Durch die milchigen Plastikfolien der Seitenwände konnten wir sehen, dass noch einige Menschen am Bierwagen standen. Die kommen gleich wieder rein. Na klar.
"Jetzt für alle: Jump"
Gerd haut in die Tasten, wie immer nicht ganz ohne Verspieler beim Intro. Unserem einzigen aktiven Zuhörer störte es nicht. Trotz Musik und viel Bewegung fror sogar Peter hinten an den Drums. Heike zog ihre Jacke an. Die Highheels hatte sie schon gegen Turnschuhe getauscht. Applaus vom Landstreicher, scheinbar kannte er Jump. Sein Bier war fast leer.
"99 Luftballons."

Während Heike sang, ging ich raus, um zu sehen, ob noch ein Paar Leute da waren und, um mir ein Bier zu holen. Tatsächlich. Es waren noch 5 bis 6 Leutchen dort. Und sogar jüngere. Wie sich herausstellte, waren die von der Landjugend Rethem. Rethem Lebt! Wieder zurück im Zelt. Heike singt
Maria
von Blondie. Unser Landstreicher torkelte nach Draußen, Bier ist alle! Jetzt war das Zelt ganz leer. Unglaublich. Der letzte Ton von Maria blieb uns im Halse stecken. Und nun? Lass uns ein bisschen Proben. Ist eh keiner mehr hier. Reiner, der Bürgermeister kam ins Zelt.
"Hey Jungs, tut mir echt leid, ich dachte da kommen mehr. Ihr seid echt gut, wirklich. Ich hätte wohl mehr Werbung machen sollen. Ich glaub, ihr könnt aufhören. Gage bekommt ihr, wie abgemacht, ist doch klar! "
Viertelnachzehn, Zelt leer gespielt, 700 Euro kassiert. So früh hatten wir noch nie Feierabend. Und nun noch ein paar Bier, bevor der Bierwagen auch dicht macht. Ja , Rethem, das war eine Erfahrung. Seit dem kann uns nichts mehr schocken. Wir hatten sogar noch drei weitere Auftritte in Rethem, denn die Jungs von der Landjugend haben uns engagiert fürs Schützenfest und zweimal Landjugendball. Wir fahren immer gerne nach Rethem, na klar!

Tom

unsere damalige Formation:
v.l.n.r.: Gerd, Frank, Peter und Markus
oben: Heike und ich

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